Werner Bucher
Als der hier Schreibende - wir hatten eben auf
der Rütegg die „Poesie-Agenda“ für das Jahr 2007 zusammengestellt - durch einen
Anruf des Dichters und Herausgebers Theo Breuer erfuhr, dass der deutsche
Lyriker Christian Saalberg an Christi Himmelfahrt (25. Mai 2006) gestorben sei,
konnte und wollte ich die traurige Nachricht mehrere Stunden lang nicht
glauben.
Zwar wusste ich durch Briefe von Christian Saalberg, dass er
schwer krank war (er hatte mir unter anderem ein von seinen Ärzten
zusammengestelltes Blatt über seine zahlreichen Krankheiten zugestellt),
wünschte ihm und mir aber den unguten Ankündigungen zum Trotz aus ganzem
Herzen, dass der grosse, im Gegensatz zu manch andern arrivierteren deutschen
Kollegen im eigenen Land viel zu wenig anerkannte Poet noch etliche Jahre leben
und weitere gute Gedichte schreiben werde. Diesen Wunsch formulierte ich im
Autorenregister der Agenda, musste den kurzen Satz aber zwei oder drei Tage,
bevor die Manuskripte zur Druckerei gingen, leider, leider ändern.
Christian Saalberg, der eigentlich Christian Rusche hiess,
schien unter seiner mangelnden Anerkennung wenig oder vielleicht gar nicht
gelitten zu haben. Lieber schrieb er neben seiner vieljährigen Tätigkeit als
Anwalt immer wieder Gedichte, fuhr mit seinem dreirädrigen „Ferrari“ von
Kronshagen aus zu seinen geliebten Orten rund um Kiel, etwa zum Westensee, auf
dem er mit seinem Klepper-Faltboot herumgeschippert ist und sich, wie ich von
seiner Tochter erfuhr, „selbst das Segeln beigebracht hat, was dazu führte,
dass er öfters mal patschnass nach Hause kam ...“
Oder dann las er Gedichte von andern, meist jüngeren
deutschsprachigen Autoren, besonders aber jene der ihm nahen französischen
Surrealisten, die er als junger Mann in deutschen Übersetzungen entdeckt hatte
und denen er sich bis zu seinem Tode verwandt fühlte, was manche seiner
Gedichte und auch die Covers seiner Bücher beweisen.
Aber statt ausführlich auf das Thema Surrealismus einzugehen
und nochmals mein Bedauern zu äussern, dass sich der im schlesischen
Riesengebirge aufgewachsene Dichter Christian Saalberg trotz Ehrungen, Preisen
und der Anerkennung durch jüngere Dichter nie in die Phalanx der Mischler und
Erfolgssüchtigen einreihen konnte oder wollte (was für ihn spricht, o ja), statt dies
zu tun, freue ich mich lieber, dass Christian Saalberg seit 1963 („Die schöne
Gärtnerin“) ungefähr alle zwei Jahre in kleineren, eher unbekannten Verlagen 23
Gedichtbände herausgeben konnte, in denen Leser und Leserinnen immer wieder auf
grossartige Gedichte stossen. Vor wenigen Tagen kam dank des Engagements seiner
Tochter Viola Rusche ein weiterer Band unter dem sinnigen Titel „An diesem
schönen Todestag im Mai“ heraus.
Fast in jedem Gedicht von Christian Saalberg findet man, mal
offen, mal mit einem Schuss Surrealismus versetzt, die Auseinandersetzung (ein
für Saalberg grobes Wort, ich weiss) zwischen Leben und Tod, denen er beiden
mit nie kaschierter Neugier, ja, wenn man so will, hin und wieder sich
humorvoll und manchmal mit direkten Fragen angenähert hat, deren Antworten er
nun, ich wünsche es ihm, alle wissen dürfte.
Wie immer, seine Gedichte bewegen vermutlich jeden wachen
Lesenden auf eine geheimnisvolle, sich letztlich gescheiten Erklärungen
entziehenden Art. Und wie sehr der Poet und Mensch Christian Saalberg auf
einzelne jüngere, ihm verbundene Dichter wirkte, dürfte das Gedicht „VITA
BREVIS“ andeuten, das Jürgen Brôcan „In memoriam Christian Saalberg“ schrieb,
darin Themen, Orte antippend, die dem Menschen Saalberg wichtig gewesen sind.
Ich möchte Ihnen das eindrückliche Gedicht von Jürgen Brôcan nicht vorenthalten:
VITA BREVIS
Am Ende hielten ihn bloss die Fäden seiner Sätze zusammen, zum Lied verknotet von Winden aus dieser und einer anderen Welt;
und an seinem schönen Todestag im Mai stiegen Seelenvögel auf, aus Attika und Byzanz, von den Treppen Odessas, den Fassaden der Altstadt Prags,
aus den Aschewirbeln über Alexandrias Bibliothek, und holten ihn ab in Kronshagen, denn es war Himmelfahrt. Ich lese seinen letzten Brief,
mühsam getippt, viele Fehler, weil ihm alles verschwamm vor Augen, aber er jubelte, er hatte dem Tod noch einmal Gedichte abgeschwatzt, Gedichte für
eine gebrechliche Schönheit. Frühgrau, Kranengesang, über den Dächern, an Trossen, die hochgehievten Lasten, schwerelos in den Marmor der Luft gemeisselt,
dann werden sie rasch im Boden versenkt, das Tagwerk jetzt (von hier aus) nicht sichtbarer Arbeiter. Vor Jahren schickte er ein Paket, schlichter brauner Karton,
prall gefüllt mit Gedichtbänden! Und schrieb: "Nichtige Poesie", obwohl er zweifellos um ihre Kräfte wusste. Was ihn antrieb: Die bunte Lokomotive
der Bilder, die aus dem Urwald untern Schreibtisch tuckert, in einem vierundzwanzigbändigen Inventar verzeichnet, vorm Grossreinemachen der Wörterbücher
parallel zur ballistischen Kurve. Dies war sein Auftritt aus namenlosem Gehölz, am offenen Gewässer, in den Aeroplanen der Imagination:
überwältigt von den Dingen, vom Leben besiegt: triumphale Heimkehr: Geburt und Tod, beides Gipfel, ihre Reihenfolge jedoch manchmal ungeklärt.
(In memoriam: Christian Saalberg, 1926-2006) |
Jürgen Brôcan, Jg. 1965, studierte Germanistik und Europäische Ethnologie in Göttingen, lebt in Dortmund. Er arbeitet als Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer aus dem Englischen und Französischen.
Und jetzt etwas, auf das bereits Theo Breuer in der letzten orte-Nummer hinwies. Auf seinem Grabstein wollte Christian Saalberg folgende Inschrift haben:
Hier ruht
CHRISTIAN SAALBERG Er wollte ein Dichter werden
Schwamm drüber |
Ich seh’s anders: Christian Saalberg wollte nicht Dichter werden. Er war einer, von allem Anfang an. Und ein „Schwamm drüber“ wird’s nie geben, solange Menschen leben, die gute Gedichte suchen und lieben. Auch im Gedicht „Die Fische“ schrieb C. S. freilich:
Wer etwas Glück hat, findet auf dem Schwarzmarkt von Odessa auch die gesammelten Werke von C.S., unaufgeschnitten und verstaubt, wie es sich für einen Dichter gehört. Ein Dichter!
Daraus wurde nichts. Schwamm drüber. |
Das kommt nicht in Frage, lieber Christian Saalberg.
Wir brauchen, suchen Gedichte, wie du sie geschrieben hast,
heute, morgen und überübermorgen. Und dass du „in Ausübung“ deines „poetischen
Dienstes, eines Tages alle Reime in einen Käfig gesperrt hast“ und Nachtfalter
sie hernach verzehrten, finde ich grossartig; auch dass du, zu lesen im selben
Gedicht, heruntergekommen bist in die Gefilde „gewöhnlicher“ Erdenbürger, um
dich mit Dorfschönheiten herumzutreiben, Landwein zu trinken und auf eben
dieses Gedicht zu pfeifen, verstehe ich ebenfalls ganz und gar.
Aber pfeifen auf deine Gedichte darfst nur du allein. Nicht
wir, niemals. Schon gar nicht Kritiker oder meist selbsternannte
Literaturlobbyisten, die es bald in jeder grösseren Stadt des westlichen Europa
gibt. Und zumindest einmal hast du deine Bescheidenheit oder Demut aufgegeben
und im Vorwort zu Namenloses Gehölz gemeint, „wenn alles zu
Ende geht, spreche ich noch einmal das Wort ANFANG aus. Bitte, lest weiter“.
Diese fast schüchterne Aufforderung sollten wir beherzigen -
zu unserm Vorteil.
Ich jedenfalls bin und bleibe dankbar, dass du gelebt hast
und wir deine Gedichte immer und immer wieder lesen können. Vergib mir, bitte,
das despektierliche Du, das mir automatisch rausgerutscht ist. Bei einem Glas
Landwein, mit oder ohne Dorfschönheiten, wäre es ohnehin gefallen. Und jetzt
wage ich, auf deine Gedichte bezogen, zu schreiben, was Hölderlin erahnte: „Was
bleibet aber, stiften die Dichter.“ Wie der grösste Dichter, den die deutsche
Sprache wohl je hatte, hast du allerhand gestiftet - fast ein Wunder in
unpoetischen Zeiten wie den unsern.
Zwei Gedichte aus deinem letzten, vor deinem Tode erschienen
Band Offenes Gewässer mögen es beweisen. Sie gehören zum
Zyklus Die Kanonen von Sewastopol.
IX
Angelangt am Rand der Welt sortiere ich, was ich hierlassen, was ich mitnehmen soll. Ich hinterlasse euch einen Stapel weisser Blätter, die sich beharrlich gegen meine Tinte gesträubt haben. Vielleicht schafft ihr es. Dann einige verlaubte Blüten, kaum der Mühe wert, sie aufzuheben.
Macht damit, was ihr wollt. Trotzdem, das Stroh, das ihr da zusammenfegt, war einmal mein Leben, ein schönes Leben, schroff und unnahbar wie der Karst, der mir ein Mantel war, den ich gern getragen.
Ich sage auch dem Tiber valet, dessen Blut dem meinen gleicht und der ohne Aufruhr ruhig dahinfliesst, obwohl er die Tempel von Rom mit seinem Blick nur streifen kann. Für ihn war es das Beste aller Leben - nicht nur für ihn.
X
Doch ich bin noch nicht am Ende. Seit wir den Tod erfunden und uns das Sterben angewöhnt haben, müssen wir noch durch die enge Pforte, das Nadelöhr, durch das schon so viele gegangen sind, selbst das Kamel.
Es geht. Ich werde es euch zeigen. |
Vielleicht zeigt er’s - um das Du kurzfristig aufzugeben -
einigen ihm nahen Menschen, wenn das Nadelöhr auf sie wartet. Wichtig aber,
dass Christian Saalbergs Gedichte gelesen werden. Schon wegen seines leisen,
surrealen Humors. Etwa, wenn er schrieb, Cocteau sei in einer Mondnacht auf
einem rechten Trottoir gegangen und man hätte auf dem linken seine Schritte
gehört ...
Aber jetzt geb ich’s auf, aus Saalbergs Gedichten zu
zitieren. Lesen Sie lieber welche auf den nächsten Seiten. Mehrmals, so hoffe
ich. Und vielleicht, wer weiss, fliegt der Dichter dann auf einmal in seinem
„Ferrari“ an oder über Ihrem Kopf vorbei. Keine Angst, über 25 km fährt und
fliegt er nie. Daran hielt er sich schon zu Lebzeiten. Auch das gehörte und
gehört zu Christian Saalberg. Und mehr, sehr viel mehr. Danke, Christian
Saalberg. Dich in Gedichten zu spüren, ist ein Geschenk.
Werner Bucher